Everybody wants to be a tech company?
Vor einigen Jahren klang das wie das ultimative Erfolgsrezept: Egal ob Autohersteller, Einzelhandelsgigant oder Energiekonzern – jedes Unternehmen wollte plötzlich eine Tech-Company sein. Die Idee dahinter war klar: Big Tech war erfolgreich, revolutionär, unaufhaltsam. Technologie versprach Innovation, Skalierbarkeit der digitalen Transformation und vor allem – gigantische Gewinne. Wer wollte da nicht mitspielen?
Aber dann kam der Wandel.
Tech war der Heilsbringer. Was ist passiert?
Zu Beginn des Tech-Hypes investierten Unternehmen in große Digitalisierungsprojekte, rüsteten ihre IT auf und entwickelten eigene Softwarelösungen. Volkswagen wollte nicht nur Autos bauen, sondern Mobilitätsplattformen schaffen. Siemens träumte davon, die Industrie mit digitalisierten Prozessen zu revolutionieren. Banken sprachen von sich als „FinTechs“, und sogar Supermarktketten entwickelten eigene Apps, um „Kundendaten besser zu verstehen“. Es schien, als gäbe es keinen Sektor, der nicht tech-getrieben in die Zukunft blicken wollte.
Doch das Mantra „Everybody wants to be a tech company“ hat Risse bekommen. Eine weltweite Pandemie, Lieferkettenkrisen und geopolitische Unsicherheiten wie der Krieg in der Ukraine haben den Fokus vieler Unternehmen verschoben.
Die Realität der Tech-Transformation: Nicht alles glänzt
Ein zentrales Problem: Viele Unternehmen unterschätzen, wie komplex und kostspielig der Wandel zur Tech-Company tatsächlich ist. Es reicht nicht, einfach eine App zu launchen oder Cloud-Systeme einzuführen. Die Digitalisierung erfordert umfassende Strukturänderungen, neue Geschäftsmodelle und oft auch eine komplette Umstellung der Unternehmenskultur.
Die Krise von Cariad: Tech-Ambitionen vs. Realität
So wollte auch Volkswagen unbedingt eine Tech-Company werden. Doch der Weg dorthin entpuppt sich als schwieriger als gedacht – mit teuren Lektionen. Ein besonders brisantes Beispiel ist die Software-Tochter Cariad, die VW eigentlich ins digitale Zeitalter katapultieren sollte. Stattdessen steht sie für Verzögerungen, interne Konflikte und das Scheitern des ambitionierten Plans, eigene, wegweisende Softwarelösungen zu entwickeln.
Volkswagen hat über Jahre Milliarden in die Entwicklung von eigener Software gesteckt – fast 12 Milliarden Euro. Doch die Ergebnisse blieben aus. Ständige Verzögerungen bei Modellen und eine überbordende Bürokratie lähmten den Fortschritt. Besonders die unterschiedlichen Anforderungen der VW- und Audi-Marken führten zu Spannungen. Die Ambition, eine starke Tech-Company zu sein, kollidierte mit der Realität eines großen, komplexen Konzerns.
Jüngstes Beispiel: Im Juni 2024 verkündete VW ein Joint Venture mit dem US-Startup Rivian. Fünf Milliarden Euro sollen in die Kooperation fließen, um die Softwareprobleme endlich zu lösen. Die Entscheidung – getroffen ohne Rücksprache mit den Cariad-Mitarbeitern – hat jedoch für Unruhe und Empörung im Unternehmen gesorgt. Ein leitender Ingenieur kommentierte: „Das ist mehr oder weniger das Ende von Cariad.“
Die Krise als Gamechanger
Die jüngsten globalen Krisen haben gezeigt, dass der Weg zur Tech-Company keine Einbahnstraße ist. Während der Pandemie wurden viele Digitalisierungsprojekte beschleunigt, aber das hat oft nur die bestehenden Probleme verdeckt. Remote Work und Cloud-Computing halfen, Geschäftsprozesse aufrechtzuerhalten, aber in vielen Branchen blieben die strukturellen Herausforderungen dieselben. Und als die Inflation stieg und die Lieferketten zusammenbrachen, wurden viele Digitalisierungsprojekte wieder auf Eis gelegt.
Besonders größere Unternehmen merken jetzt, dass Technologie kein Allheilmittel ist. Produktionsengpässe und steigende Kosten lassen sich nicht allein mit einer App lösen. Auch in der Tech-Welt selbst gibt es Zeichen des Umdenkens: Nach Jahren des ungebremsten Wachstums erleben wir bei großen Playern wie Meta und Amazon Entlassungen und einen Rückgang bei Investitionen in neue Projekte.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Klar ist: Technologie wird weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. Aber der blinde Glaube, dass jedes Unternehmen zur Tech-Company werden muss, ist vorbei. Unternehmen müssen sorgfältig abwägen, wie und in welchem Umfang Technologie tatsächlich einen Mehrwert bietet. Viel wichtiger ist es, den technologischen Wandel mit Bedacht anzugehen, anstatt blind Trends zu folgen.
Fazit
Die Sehnsucht, eine Tech-Company zu sein, hat sich in vielen Branchen als kurzfristiger Hype entpuppt. Der Druck, unbedingt digital zu sein, weicht einer differenzierteren Betrachtung: Technologie ist ein Werkzeug, kein Selbstzweck. In Zeiten von Krisen und Umbrüchen wird es für Unternehmen immer wichtiger, ihre Strategie anzupassen und Technologie als Mittel zum Zweck zu nutzen – und nicht als neues Unternehmensziel.