Direct to Consumer: Drei Fehler aus der Praxis und wie sich ein Scheitern des D2C-Projekts verhindern lässt
Direct-to-Consumer, DTC, B2C E-Commerce - diverse Bezeichnungen für eine Sache, den digitalen Direktvertrieb von Herstellern oder Marken. Spoiler alert: Direct-to-Consumer ist für praktisch alle Geschäftsmodelle alternativlos.
Die Realität in der Umsetzung birgt allerdings einige Herausforderungen. Hersteller erleben durch D2C oft eine “doppelte Transformation”: Sie werden selbst zum Händler (“Retail is Detail”) und das digital (“Tech & Daten als Treiber”). Nicht selten kommt auch hier schon die Anforderung “Omni Channel Champion” ins Spiel und lässt die Digital Newbies mit erhöhtem Druck und einer diffusen Priorisierung zurück. Erwartungshaltung und How-to steps sind vielen Hürden ausgesetzt! Auf der Suche nach den Stolpersteinen lassen sich in der Praxis drei immer wiederkehrende Fehler erkennen, die eine echte Gefährdung des Erfolgs der D2C-Projekte darstellen.
Fehler 1:
Die Gefahr, das Projekt alleine in die Hände eines Head of Digital zu geben - D2C muss ein CEO getriebenes Strategie-Projekt im Sinne des Unternehmens sein!
Grundlage des späteren operativen Erfolgs ist ein solides strategisches Fundament. Gerade E-Commerce Leiter deren Herangehensweise normalerweise hands-on ist, unterschätzen diesen Erfolgshebel. Zu schnell wird hier über relevante Wettbewerber und fehlende interne Ressourcen und Fähigkeiten hinweg gegangen. Der Fokus bzw. das offensichtliche Ziel liegt oft darauf, alles - möglichst schnell - zum Laufen zu bringen. Wer sich außerdem erhofft, die Transformation in 2-3 Jahren zu schaffen, dem sei gesagt: häufig erstreckt sich das Projekt D2C doch eher über 4-6 Jahre!
Ohne CEO-getriebenen Veränderungsprozess wird zu schnell ins Doing gewechselt, Altlasten in IT & Prozessen ungefragt als gesetzt akzeptiert. Im Ergebnis kommt es lediglich zu Optimierungen “im bestehenden System” - statt das maximale Marktpotential durch Best-in-Class Standards zu setzen.
Ein weiteres strategisches Dilemma ist der Umgang mit Amazon und anderen Marktplätzen: Soll die etablierte Marke auf Amazon aufspringen - oder dagegen ankämpfen? Gerade Berater und Systemanbieter propagieren allzu häufig eine vermeintliche Alternativlosigkeit bei der Marktplatzintegration. Dabei kommt es tatsächlich darauf an - und sollte in jedem Falle mit dem CEO und Vorstand strukturiert, strategie-basiert diskutiert werden.
Fehler 2:
“Wir brauchen einen Online-Shop und der Rest kommt von selbst” - Unterschätzung des drohenden Verlustes des Kundenzugangs durch radikal verändertes Kaufverhalten und aggressive Online-Wettbewerber
Nicht zuletzt die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Kaufverhalten zeigt, wie wichtig ein direkter Kundenzugang ist. Diese Erkenntnis hat Hersteller aber noch nicht ausreichend den dahinterliegenden Shift erkennen lassen. Was ist dieser Shift? Der Kunde heute will eines: die Sache. Produktauswahl vor Anbieterauswahl - das Alleinstellungsmerkmal wird durch den Markteintritt aggressiver Pure-Plays oder Digitally Native Vertical Brands (DNVB) bedroht.
Beispiel HRS: hier wird deutlich gezeigt, wie ganze Branchen vollkommen abhängig von einzelnen Marktmittlern werden können. HRS erschien erst als willkommene Ergänzung um freie Betten zu vermarkten. Mittlerweile kann sich kein Hotel mehr leisten hier nicht gelistet zu sein. Der Schmerz für die Hotels? Bestpreis-Garantie für das Portal, Provisionserhöhungen hinnehmen, die Liste geht weiter… Nachahmung findet dieses Modell auch in Mobilität mit Portalen wie mobile.de oder billiger-mietwagen.de
Anhand dieser Beispiele lässt sich der veränderte Kaufprozess plastisch darstellen: Kunden von gestern haben sich durch Branding und Marketing zuerst einem Anbieter committed und haben sich dort für ein passendes Produkt entschieden. Im Stationärhandel hatte ein Händler dann eine hohe Relevanz für den Kunden wenn die Beratung stimmte. Der Point of Sale war auch der Point of Decision.
Kunden von heute wollen zunächst das Produkt. Dabei spielen Suchmachschinen, Vergleichsportale und Einflüsse sozialer Netze eine enorme Rolle. Erst danach werden Anbieter besucht und gekauft. Im Gegensatz zum Point of Sale gewinnt der Point of Decision an Bedeutung. Dies ist der neuralgische Punkt an dem Hersteller/Marken Kunden und Einfluss auf die Kaufentscheidung ohne D2C verlieren.
Auf der Markt- und Wettbewerbsseite werden sie von Entscheidern zu stark unterschätzt: Digitally Native Vertical Brands (DNVB) wie Bonobos, JustFab oder Warby Parker. Klassische Marken müssen das zwei- bis dreifache an Aufschlag für die Handelspartner “bereitstellen”. DNVB können durch Direct-to-Consumer die gleiche Produktqualität zur Hälfte oder gar nur ein Drittel des Preises anbieten.
DNVB lohnen auch als Benchmark für mehr Verständnis, was Customer Experience und Mobile, für Marken heute bedeuten sollte - denn sie erfüllen nach Andy Dunn, CEO von Bonobos, die folgenden vier Kriterien:
Die Marke ist digital geboren. Hauptkanal für Interaktion, Verkauf und Storytelling ist das Web
Die Marke ist und bleibt das Herzstück, der E-Commerce Kanal enabled die Brand und wird immer mit sehr hoher Exzellenz bespielt
DNVB ist geradezu obsessiv fokussiert auf Kundenerlebnis und Kundennähe über die digitalen Kanäle. Die User Experience befeuert sich gegenseitig aus physischem Produkt, Web / Mobile Experience und Kundenservice
Die Marke findet nicht nur online statt, sondern auch in ausgewählten physischen Kanälen. Merkmal dabei ist immer: die Marke will den Kanal kontrollieren z.B. über Flagship-Stores und ausgewählte Handelspartnerschaften
Diese neuen Wettbewerber unterscheiden sich somit nicht dadurch, dass sie einen Online-Shop haben, sondern durch ihre radikale Ausrichtung an Kundeninteressen. Das macht sie auch so gefährlich für den drohenden Verlusts des Kundenzugangs. Daher ist ein tiefes Verständnis der Mechanismen von D2C elementar: Ein sauberes Aufziehen des Operating Model von Anfang an!
Fehler 3:
“Wir bringen uns Online einfach ‘on the go’ selber bei” - Starre, fragmentierte und komplexe Systeme, aber auch Prozesse schränken digitale Geschäftsfähigkeit ein
Kosten klein halten, das bestehende Geschäft nicht “in Mitleidenschaft ziehen”, Hauptsache keine Disruption vom Rest des Unternehmens! Das ist der Wunsch vieler Stakeholder bei der Realisierung von D2C. So starten D2C-Projekte mit limitierten Möglichkeiten, die nicht zuletzt in den Basisstrukturen der Prozesse, IT-Systeme und Organisation liegen. Viel zu oft werden identifizierte Probleme z.B. im Sortiment oder den Fulfillment-Prozessen als angeblicher Zusatzballast alleine dem D2C-Verantwortlichen überlassen - anstatt sie als absolute Chance für Modernisierung des gesamten Geschäftsmodells zu sehen.
Ohne USP aus Kundensicht ist ein solcher Anspruch nicht zu untermauern! Daraus lassen sich notwendige Anpassungen der vorhandenen Strukturen und IT-Systeme ableiten.
Was sind die Building Blocks zur Umsetzung des angestrebten USPs?
Welches sind die tatsächlichen Wert- und Kostentreiber der Prozesse?
Welche Ressourcen und Capabilities sind auf dieser Basis erforderlich (z.B. Lean IT)?
Ist der Prozess aufgrund der strategischen Bedeutung oder des (Nicht-)Vorhandenseins interner Capabilities im Unternehmen selbst oder durch externe Dienstleister abzubilden?
Der Fehler ist häufig allzu einfach: Selbstgestrickte Faustregeln wie “Strategisch wichtig intern” oder “Vermeintlicher Support wird ausgelagert”. Neben der inhaltlichen Entscheidung ist auch zu Bedenken, dass es einen erheblichen Abstimmungs- und Organisationsaufwand gibt, schnell stoßen hier Führungsstrukturen die zum ersten Mal digital arbeiten an Grenzen. Der Aufbau eines Managements und Beschaffung der benötigten Capabilities überfordert.
Viele Inhouse-Teams haben unzureichende Online-Kompetenzen, z.B. in Merchandising, CRM, Retention, Customer Care, Logistik / Fulfillment sowie Dienstleister-Steuerungskompetenz. Das Auswerten von Daten und Überführen in Next Best Actions spielt eine große Rolle. Die Folge? Durch fehlende Reports geht Wissen verloren und das Projekt fährt immer nur auf Sicht.
Eine Fehlerquelle in der Teambesetzung ist der Verzicht auf externe Unterstützung weil entweder das Budget zu knapp bemessen ist oder externe Expertisen in Preis-Leistung nicht korrekt beurteilt werden können. Die Übernahme dieser gemischten Interim-/Inhouse-Teams stellt digitale Geschäftsfähigkeit besser her.
Im Sinne eines Senior-Junior-Gespanns werden die Aufgaben Stück für Stück in die Betriebsorganisation zurück integriert. Ein solches Vorgehen sichert die digitale Geschäftsfähigkeit nachhaltig ab.